Ärztlicher Behandlungsfehler und hypothetische Einwilligung: Was Ärzte Beachten Müssen

In einem aktuellen Fall (BGH, Urteil vom 2. Juli 2024 – VI ZR 363/23) geht es um einen medizinischen Behandlungsfehler, der zur Amputation der linken Hand und eines Teils des Unterarms eines Neugeborenen führte.

Sachverhalt

Das Kind wurde im Mai 2010 zu früh geboren und musste intensivmedizinisch betreut werden. Am 8. Juni 2010 wurde ihm ein Verweilkatheter in die Arteria brachialis gelegt, obwohl bereits eine Woche zuvor eine Durchblutungsstörung in der Arteria radialis des gleichen Arms aufgetreten war. Nach der Operation wurde der Katheter nicht sofort entfernt, obwohl Anzeichen einer weiteren Durchblutungsstörung vorlagen. Der Kläger argumentierte, dass dieser Behandlungsfehler kausal für den eingetretenen Gesundheitsschaden war und dass die Eltern nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt wurden.

Rechtliche Würdigung

Der (BGH) hob das Urteil der Vorinstanz auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück. Der BGH stellte fest, dass sowohl ein Behandlungsfehler als auch eine unzureichende Aufklärung der Eltern vorlagen.

  1. Behandlungsfehler und Kausalität:
    Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die Behandlung nicht dem medizinischen Standard entspricht. In diesem Fall war die Anlage des Verweilkatheters in die Arteria brachialis des linken Arms fehlerhaft, da das Kind bereits zuvor eine Durchblutungsstörung in der Arteria radialis des gleichen Arms erlitten hatte. Die fehlerhafte Katheteranlage war kausal für die eingetretene Durchblutungsstörung, da sie nicht ohne den Gesundheitsschaden gedacht werden kann. Der Beweis der Kausalität liegt bei dem Patienten, allerdings kann es zu einer Beweislastumkehr kommen, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt.
  2. Hypothetische Einwilligung:
    Der BGH wies darauf hin, dass bei einer unzureichenden Aufklärung über die Risiken der Eingriff grundsätzlich rechtswidrig ist. Jedoch kann sich der Arzt auf die hypothetische Einwilligung berufen, wenn er beweisen kann, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.

    Im vorliegenden Fall war die Aufklärung der Eltern über die Risiken der Katheteranlage unzureichend, insbesondere wurden sie nicht über die Gefahr eines Extremitätenverlusts informiert. Das Berufungsgericht nahm an, dass die Eltern die Operation auch bei korrekter Aufklärung nicht abgelehnt hätten, da sie lebensrettend war. Diese Annahme wurde jedoch vom BGH als fehlerhaft eingestuft, weil es entscheidend darauf ankommt, ob die Eltern in einen Entscheidungskonflikt geraten wären, nicht wie sie sich letztlich entschieden hätten.

Strafrechtliche Relevanz für Ärzte

Für Ärzte ist die Frage der Einwilligung besonders strafrechtlich relevant. Ohne eine wirksame Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters liegt eine vor, die strafrechtlich verfolgt werden kann.

Die Einwilligung muss informiert sein, was bedeutet, dass der Patient über alle wesentlichen Risiken des Eingriffs aufgeklärt wird. Ein Mangel in der Aufklärung kann dazu führen, dass eine Einwilligung unwirksam ist.

  • Kausalität eines Behandlungsfehlers: Ärzte müssen sicherstellen, dass ihre Handlungen kausal für den Heilungserfolg sind und den medizinischen Standards entsprechen. Wenn ein Fehler gemacht wird, der zu einem Gesundheitsschaden führt, kann dies sowohl zivilrechtliche Schadensersatzansprüche als auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
  • Aufklärung und Einwilligung: Ärzte müssen umfassend und verständlich über die Risiken eines Eingriffs aufklären. Die hypothetische Einwilligung kann eine Verteidigung sein, ist aber nur dann erfolgreich, wenn nachgewiesen wird, dass der Patient in die Behandlung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte.

Fazit

Ärzte sollten immer eine detaillierte Aufklärung dokumentieren und sicherstellen, dass alle potenziellen Risiken und Alternativen besprochen werden. Dies schützt nicht nur vor zivilrechtlichen Haftungsansprüchen, sondern auch vor strafrechtlicher Verfolgung wegen Körperverletzung. Der Fall zeigt die Wichtigkeit der Dokumentation und der Kommunikation mit den Patienten oder deren gesetzlichen Vertretern, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht + Kunst & Medien - ergänzt um Arbeitsrecht.