Absehen vom Regelfahrfahrverbot

Um die Frage, wann man vom bei einer absehen kann, ging es beim Oberlandesgericht Hamm, 5 RBs 48/22. Das OLG hebt dabei hervor, dass man nicht ohne Weiteres vom Fahrverbot absehen kann.

Voraussetzungen des Absehens vom Fahrverbot

Bei der Frage des Absehens vom Fahrverbot ist dem Tatrichter kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt. Vielmehr sind dem tatrichterlichen Ermessensspielraum mit der OLG-Rechtsprechung aufgrund der in Rechtsnormen niedergelegten und von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien sowie aufgrund des Gebots der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit enge Grenzen gesetzt.

Denn, so die OLG immer wieder, angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit, hinsichtlich derer ein gesetzlich angeordnetes Regelfahrverbot in Betracht kommt, versteht sich die grundsätzliche Erforderlichkeit zur Einwirkung auf den Betroffenen bzw. die Angemessenheit eines Fahrverbotes, die durch die Erfüllung des Tatbestands regelmäßig indiziert ist (OLG Hamm, 2 RBs 224/16, 3 RBs 227/19; KG, 3 Ws (B) 3/19; OLG Zweibrücken, 1 OWi 2 Ss Bs 114/19; OLG Koblenz, 2 SsBs 14/14; OLG Bamberg, 3 Ss OWi 966/08).

Anforderungen an das Urteil

Wenn das Amtsgericht wegen einer angenommen unbilligen Härte von der Verhängung des Regelfahrfahrverbots absehen möchte, dann muss es in den Urteilsgründen eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung darlegen, welche die Annahme einer unbilligen Härte rechtlich in der Revision nachprüfbar macht.

Bei der Beurteilung, ob für den Betroffenen eine solche unbillige Härte aufgrund eines konkret drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes vorliegt, ist es dem Tatrichter zwar nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung des Betroffenen oder einer schriftlichen Bestätigung des Arbeitgebers, aus dem sich solche konkrete Anhaltspunkte ergeben können, zu glauben. Er hat jedoch die Angaben des Betroffenen oder des Arbeitgebers auf ihre Richtigkeit hin, zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet:

Allerdings ist anerkannt, dass die Verhängung eines Fahrverbots unter Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkatalogs nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG dann ungemessen erscheint und daher von der Verhängung abgesehen werden kann, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, dass er als Ausnahme im Sinne einer unbilligen Härte zu werten ist, insbesondere, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Verlust seines Arbeitsplatzes oder seiner sonstigen wirtschaftlichen Existenz droht und dies nicht durch zumutbare Vorkehrungen vermieden werden kann (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.01.2017 – III – 2 RBs 224/16 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 23.04.2014 – 2 SsBs 14/14 -).

Dabei ist nach Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab anzulegen (zu vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 01.04.2020 – 1 OWi 2 Ss Bs 114/19 -) (…)

Dementsprechend darf sich die Begründung im Urteil nicht auf eine unkritische Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen oder der unkritischen Übernahme einer schriftlichen Mitteilung des Arbeitgebers beschränken. Dieser vom Tatgericht zu leistende Aufklärungs- und Begründungsaufwand rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass ein Fahrverbot in aller Regel die einzig angemessene und vor allem wegen der einschneidenden Wirkung spürbare und erzieherische Reaktion auf schweres verkehrsrechtliches Fehlverhalten ist, so dass es regelmäßig aus Gründen der Gleichbehandlung nicht hinnehmbar ist, wenn sich ein Verkehrsteilnehmer unter Hinweis auf vermeintliche berufliche Nachteile durch ein zwar erhöhtes, aber selten wirklich belastendes Bußgeld von der Verhängung eines Fahrverbotes frei kauft (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.01.2017 – III – 2 RBs 224/16 -).

Insbesondere gilt – worauf auch die Staatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – der Grundsatz, dass berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten von dem jeweils Betroffenen als selbstverschuldet hinzunehmen sind, grundsätzlich auch für beruflich auf die angewiesene Personen, da anderenfalls diese Folge bei bestimmten Berufsgruppen praktisch ausscheiden würde (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.01.2017 – III-2 RBs 224/16 -; Beschluss vom 16.02.2016 – III-4 RBs 28/16 -).

Oberlandesgericht Hamm, 5 RBs 48/22

Kündigungsdrohung alleine reicht nicht!

Schließlich hat das Amtsgericht aus Sicht des OLG auch verkannt, dass es bei seiner Entscheidung, von der regelhaften Anordnung eines Fahrverbotes abzusehen, nicht jede Kündigungsandrohung zugrunde legen darf:

Dies gilt umso mehr, als sich die Mitteilung des Arbeitgebers ausweislich des in den Urteilsgründen wiedergegebenen Inhalts auf den sehr vagen und wenig aussagekräftigen „Vorbehalt“ arbeitsrechtlicher Sanktionen – eingeschlossen eine Kündigung – beschränkt. Jedenfalls war das Amtsgericht gehalten zu prüfen, ob eine solche Kündigungsandrohung rechtlich Bestand hätte, soweit sie verwirklicht werden sollte. Ist eine solche Kündigungsdrohung offensichtlich rechtswidrig, stellt sie keinen Grund dar, deswegen von einem Regelfahrverbot abzusehen. Denn bei einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung trägt der Betroffene, gegen den trotz Kündigungsdrohung ein Fahrverbot verhängt wird, in Wirklichkeit kein Risiko des Arbeitsplatzverlustes, oder aber dieses Risiko ist so gering, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt (zu vgl. KG, Beschluss vom 05.02.2019 – 3 Ws (B) 3/19 -; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 01.04.2020 – 1 OWi 2 Ss Bs 114/19 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2003 – 2 Ss (OWi) 126 B/02 -). Dementsprechend hätte das Amtsgericht hier bedenken müssen, dass in aller Regel nur der dauerhafte oder zumindest über einen erheblichen Zeitraum andauernde Wegfall der Eignung zur Verrichtung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung aufgrund der fehlenden Möglichkeit, ein Fahrzeug zu führen, geeignet ist, eine (außerordentliche) Kündigung zu rechtfertigen. Demgegenüber sind kurzfristige Fahrverbote nur in Ausnahmefällen geeignet, eine entsprechende Kündigung zu rechtfertigen, zumal bei personenbedingten Störungen des Arbeitsverhältnisses die Kündigung ohnehin nur als letztes Mittel zulässig ist und daher ausscheidet, wenn dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, den während des Fahrverbots im Betrieb anderweitig einzusetzen (zu vgl. KG, Beschluss vom 05.02.2019 – 3 Ws (B) 3/19 -). Dementsprechend wäre auch hier zu erörtern gewesen, warum es dem Arbeitgeber des Betroffenen nicht möglich ist, diesen, nachdem ihm der ihm zustehende Jahresurlaub am Stück gewährt worden ist, als Verkaufsberater ausschließlich in den Räumlichkeiten des Autohauses zu beschäftigen, ohne dass ihm in dieser Zeit Probe- oder Überführungsfahrten obliegen.78

Bei der Frage der Gewährung des zusammenhängenden Urlaubs hätte das Amtsgericht in diesem Zusammenhang auch bedenken müssen, dass gerade mit Blick auf eine sonst ggf. notwendige Kündigung des Betroffenen es arbeitsrechtlich geboten sein könnte, dem Betroffenen dem ihm zustehenden Urlaub am Stück zu gewähren und stattdessen gegebenenfalls andere Arbeitnehmer unter Hinweis auf die damit entstandenen betrieblichen bzw. in der Person des Betroffenen liegenden sozialen Gründe, die Vorrang verdienen (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 BurlG), auf andere Zeiten der Inanspruchnahme des Urlaubs zu verweisen.79

Zudem wäre in diesem Zusammenhang auch zu erörtern gewesen, ob – soweit nicht bereits aufgrund der aufgezeigten Möglichkeiten oder einer Kombination aus diesen sich das Fahrverbot für den Betroffenen als zumutbar darstellt – es für den Arbeitgeber und den Betroffenen zumutbar ist, den Betroffenen für den nach Gewährung von Urlaub verbleibenden Zeitraum ohne Zahlung von Lohn von seiner Beschäftigung frei zu stellen (zu vgl. KG, Beschluss vom 11.07.2014 – 3 Ws (B) 355/14 -). Hinsichtlich der Zumutbarkeit für den Betroffenen ist dabei zu berücksichtigen, dass es ihm bereits seit geraumer Zeit aufgrund der Kenntnis von dem drohenden Fahrverbot möglich gewesen ist, anhand der ihm bislang gewährten Gehaltszahlungen Rücklagen für einen entsprechenden Zeitraum der Freistellung ohne Lohn zu schaffen. Jedenfalls wird der Betroffene gehalten sein, spätestens ab Kenntnis der Entscheidung des Senates entsprechende Rücklagen zu schaffen, so dass es ihm dann auch zumutbar sein wird, einen überschaubaren Zeitraum – der nach Inanspruchnahme des ihm zustehenden Urlaubs ohnehin nur einen Monat umfassen dürfte – mittels dieser Rücklagen oder auch der Inanspruchnahme eines Kredits zu überbrücken.

Oberlandesgericht Hamm, 5 RBs 48/22
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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