Sicherungsverwahrung: Handhabe der „Altfälle“

Das Thema ist – obgleich sich in der Sachlage bisher noch (!) nichts geändert hat – interessanterweise aus dem Interesse der Medien verschwunden. Gleichwohl wird das Jahr 2011 von einem radikalen Wechsel im System der Sicherungsverwahrung geprägt sein. Der Bundesrat hat (erwartungsgemäß) die Reform der Sicherungsverwahrung nicht blockiert. Es ist damit zu rechnen, dass das Änderungsgesetz in einer der nächsten Ausgaben des Bundesgesetzblatts erscheint und noch im Januar 2011 in Kraft treten wird.

Ohne jetzt in die Tiefe zu gehen, sollte zuerst einmal beachtet werden, dass der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung begrenzt wird, nämlich auf Delikte gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung und auch wegen gemeingefährlicher Straftaten nach dem 28. Abschnitt des StGB (z.B. ). Anders als früher ist damit eine Sicherungsverwahrung für Betrüger, Urkundenfälscher oder Heiratsschwindler (alle diese Fälle gibt es in Sicherungsverwahrung) nicht möglich. Entsprechende bereits in Sicherungsverwahrung befindliche Fälle sind nach dem neuen §316e III EGStGB zu entlassen.

Neu ist zudem, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung aus dem Gesetzeswortlaut verschwindet, nunmehr wird eine Sicherungsverwahrung entweder angeordnet (§66 StGB) oder vorbehalten (§66a StGB). Dabei ist zu beachten, dass der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung die engen Grenzen der Anordnung ein wenig erweitert, hier ist u.a. ein Vorbehalt möglich wegen schweren Raubes.

Hinsichtlich der so genannten Altfälle zeichnet sich folgendes Bild ab:

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes ist mit den Vorgaben des BGH und BVerfG zwingend auf den konkreten Einzelfall zu blicken. Dabei hat der BGH in einer von uns vertretenen Sache das OLG Köln angewiesen, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären,

sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist

Der BGH hat dabei die bisherigen Entscheidungen des BVerfG (speziell den wenig beachteten 2 BvR 1771/09) offensichtlich aufmerksam gelesen und betont dabei speziell mit Blick auf unseren Mandanten dessen

fortgeschrittenes Alter und seinen reduzierten Gesundheitszustand

was in jedem Fall zwingend in die Begutachtung einzubeziehen ist. Diese Grundsätze werden vom BGH sicherlich auch in den anderen Fällen vertreten werden.

Mit dem Inkrafttreten der Reform der Sicherungsverwahrung, ist zuerst einmal auf das dann bestehende „Gesetz zur Therapierung und psychisch gestörter Gewalttäter“ zu achten, das mit dem Wortlaut des §1 speziell für die so genannten Altfälle geschaffen wurde. Dabei findet das Gesetz ausdrücklich auch auf diejenigen Anwendung, die bereits „draussen“ sind, also „auf der Strasse herum laufen“. Es wird hier die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, nachträglich diejenigen in Sicherungsverwahrung zu nehmen, die bisher auf Grund des EGMR-Urteils aus der Verwahrung entlassen wurden. Verfassungsrechtlich wird es nicht lange dauern, bis hier jemand den Gang nach Karlsruhe sucht, um klären zu lassen, ob es sich um ein verbotenes Einzelfallgesetz handelt. Dieser Gedanke ist nicht grundsätzlich zu verneinen, da die Zahl der Betroffenen hier in der Tat eindeutig abgegrenzt ist. Andererseits war das BVerfG in der Vergangenheit bei dem Thema des verbotenen Einzelfallgesetzes sehr grosszügig, weswegen ich im Ergebnis eher skeptisch bin, ob das Gesetz hier an diesem Punkt wirklich scheitern wird. Interessanter wird die Frage sein, ob es dem Gesetzgeber geglückt ist, nun wirklich den Strafcharakter aus der (hier weiterhin existierenden) nachträglichen Sicherungsverwahrung zu nehmen und sich damit aus dem Griff des EGMR zu winden. ich habe keine Zweifel, dass dies noch einmal gerichtlich geprüft werden wird.

Bei der Anwendung dieses Gesetzes wird man – entsprechend den Vorgaben des EGMR – nicht mehr die Strafgerichte, sondern die Zivilgerichte bemühen, was sowohl systematisch als auch dogmatisch überzeugt. Es bleibt zu hoffen, dass diese – wovon ich derzeit ausgehe – die frisch entwickelten Grundsätze von BGH und BVerfG nahtlos aufgreifen, womit die obigen Zeilen entsprechend anzuwenden sind. Speziell das hohe Alter und der entsprechende Gesundheitszustand werden insofern eine erhebliche Rolle bei Gewalt- und Sexualtätern spielen.

Hinsichtlich der Altfälle, die sich auf Grund der nach neuem Recht nicht mehr vorgesehenen Taten in Sicherungsverwahrung befinden (, etc.) sieht der neue §316e III EGStGB vor, dass das zuständige Gericht von sich aus eine Erledigung der Sicherungsverwahrung zu erklären hat. Allerdings wird eine bis zu 6-Monatige Übergangszeit vorgesehen.

Es bietet sich mit Blick auf die so genannten Altfälle m.E. mit der aktuellen Reform tatsächlich die Möglichkeit, eine vernünftige Lösung zu finden. Inwiefern diese von der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen wird, liegt aber (leider) nicht zuletzt in den Händen der Presse, die sich in der Vergangenheit alles andere als mit Ruhm bekleckert hat. Es bleibt abzuwarten, ob die anstehenden Entlassungen von in Sicherungsverwahrung genommenen Betrügern von der Presse aufgebauscht werden – und die verängstigte Bevölkerung von wieder in Sicherungsverwahrung genommenen „Altfällen“ in angemessener Weise unterrichtet wird. Hier bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Presseerzeugnisse sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich des Themas angemessen wieder würdigen, wenn es soweit ist.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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