Den eigenen Briefkasten muss man leeren?

Es gibt einen weit verbreiteten Irrglauben, der nun durch die deutsche Post nochmals befeuert wird: Es soll für Verbraucher eine Pflicht existieren, täglich in ihren Briefkasten zu sehen und diesen zu leeren. Die deutsche Post hat nun, vor dem Hintergrund dieses Irrglaubens, für ihren Dienst „ePost“ (eine „sichere“ Mail-Adresse als Konkurrenzprodukt zur „DE-Mail“) folgende Klausel in die AGB aufgenommen:

Der Nutzer wird daher aufgefordert, mindestens einmal werktäglich den Eingang in seinem Nutzerkonto zu kontrollieren. Von einer regelmäßigen Kenntnisnahme eines E-POSTBRIEFS mit elektronischer Zustellung durch den Privatkunden ist daher spätestens am Werktag nach Eingang im Nutzerkonto auszugehen.

Es wird sich nun auf diversen Webseiten darüber echoffiert, was die Post Ihren Nutzern da aufbürdet. Was mich allerdings wundert: Warum fragt niemand, ob diese Klausel in dieser Form überhaupt zulässig ist?


Zuerst einmal zum juristischen Mythos: Der ist falsch. Das BVerfG schrieb schon 1993 (BVerfG, 2 BvR 805/91):

Wer eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, braucht für die Zeit seiner Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen. Der Staatsbürger muß damit rechnen können, daß er in den vorigen Stand erhalten wird.

Damit erledigt sich jede weitere Diskussion über eine angebliche Pflicht, den Briefkasten immer leeren zu müssen. Natürlich gibt es Einschränkungen, je nach Einzelfall. Wer etwa bei einem bereits laufenden Verfahren im fortgeschrittenem Stadium eine Reise antritt, muss Vorsorge für den Postempfang treffen (BGH in NJW 2000, S.3143). Gleiches bei Zugangsvereitelung, wobei hier meine bisherigen Ausführungen gelten: Man muss schon mit einer entsprechenden Zustellung rechnen oder böswillig handeln (Briefkasten zukleben, Namen entfernen, Hausnummer entfernen).

Und wie sieht es nun mit den Klauseln der ePost aus? Ich habe hier zum einen mit Blick auf den §309 Nr.12 BGB erhebliche Probleme: In diesem Paragraphen wird ein Verbot der Beweislastumkehr normiert sowie das Verbot der Pauschalierung der Bestätigung bestimmter Tatsachen.
In den AGB wird aber erstens die für die Kenntnisnahme zu Lasten des Verwenders vollständig auf diesen abgewälzt – dabei liegt die Mail alleine im Herrschaftsbereich der Post als Anbieter und diese könnte technisch problemlos für jede einzelne Mail erfassen, ob sie „abgeholt“/gelesen wurde.
Zum Zweiten wird eine bestimmte Tatsache bestätigt: Dabei sehe ich in der Klausel der ePost den Versuch, einen Empfang zu fingieren, für den §309 Nr.12 BGB aber gerade für AGB gesonderte Voraussetzungen gibt:

Buchstabe b gilt nicht für Empfangsbekenntnisse, die gesondert unterschrieben oder mit einer gesonderten qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind;

Neben dem §309 Nr.12 BGB sehe ich aber §307 BGB, der die unangemessene Benachteiligung unterbindet. Dabei stellt §307 BGB fest:

Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung […] mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist […]

Nun mag man mit Blick auf die §193 BGB, §§216 III, 222 ZPO entsprechende gesetzliche Regelungen finden, die Sonntage, Samstage und gesetzliche Feiertage unter einen besonderen gesetzlichen Schutz stellen. Dabei wird sich schon die Frage stellen, ob eine entsprechende Klausel nur auf Werktage beschränkt sein dürfte (was die Post ja tut).

Allerdings fallen unter „gesetzliche Regelungen“ nicht nur Gesetze im eigentlichen Sinn, sondern erfasst werden auch Rechtsgrundsätze, die Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet haben (Palandt, §307, Rn.27 mit Verweis auf BGHZ 115, 42 u.a.). Als solcher Rechtsgrundsatz gilt dann somit auch das vom BVerfG festgestellte Prinzip, dass Verbraucher gerade nicht täglich nach ihrer Post sehen müssen. Diesen Grundsatz missachtet die Klausel der Post offenkundig.

Nun bleibt dennoch Diskussionsbedarf: Das BVerfG ging 1993 von der Wohnung des Betroffenen aus, nicht von einem (zumindest theoretisch) überall abrufbarem elektronischen Postfach. Doch so wie man (theoretisch) auch im Urlaub auf seine Mails zugreifen kann, so könnte man sich auch die Post nachsenden lassen – offensichtlich war das kein Argument für das BVerfG.
Andererseits ist es auch fraglich, ob es dem Einzelnen nicht zustehen muss, zumindest in angemessener Zeit „Abstand“ vom „Alltag“ zu nehmen. Der Verweis darauf, dass man das Postfach kündigen könne, kann dabei nicht durchschlagen: Während der Nutzer gleich das ganze Postfach kündigen müsste (und seine Mail-Adresse zumindest zeitweilig aufgibt), könnte die Post problemlos die Möglichkeit einrichten, dass man selbst den Empfang in seinem Postfach für einen bestimmten Zeitraum sperrt. Die Post hätte es somit in der Hand, durch die Einrichtung dieser einfachen Möglichkeit, rechtliche und tatsächliche Sicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.

Am Ende steht für mich fest, dass es eine Pflicht, täglich seinen Briefkasten zu leeren, nicht gibt. Diesen Grundsatz möchte ich auch auf elektronische Postfächer übertragen; eine anderweitige Vereinbarung mag möglich sein, allerdings m.E. nur mit Begrenzung auf Werktage. Dabei sehe ich die Pflicht der Anbieter solcher „rechtssicheren“ Postfächer mit Zugangsnachweis, eine technische Möglichkeit zu schaffen, damit Nutzer den Zugang zeitweilig unterbinden können, jedenfalls so lange, wie es – anders als bei Briefkästen – keine Pflicht gibt einen solchen Zugang bereit zu halten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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