Strafbare Körperverletzung beim Stechen von Ohrlöchern an Minderjährigen?

Der Fall heizt nun auch die Medien an (ich hatte bereits auf unserer Facebook-Seite berichtet): Ein deutsches Zivil-Gericht sieht eine mögliche Strafbarkeit wegen wenn Eltern Ihren Kindern Ohrlöcher stechen lassen. Die Nähe zur „Beschneidungs-Debatte“ liegt auf der Hand und die Frage steht im Raum: Strafbarkeit oder nicht? Eine sehr kurze Analyse als erste Stellungnahme.

Körperverletzung ist, wenn jemand eine andere Person

  1. körperlich mißhandelt oder
  2. an der Gesundheit schädigt

1. „Körperliche Mißhandlung
Körperliche Mißhandlung ist dann gegeben, „wenn jemand ursächlich geworden ist dafür, daß das
körperliche Wohlbefinden eines anderen ohne dessen Willen mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt worden ist“ (SK-Rudolphi, §223, Rn.4). An dieser Stelle ich m.E. bereits der Knackpunkt die Frage der Notwendigkeit einer erheblichen Beeinträchtigung. Ich habe an dieser Stelle gravierende Zweifel, dass das Durchstechen eines Ohres eine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens ist. Hier bietet sich bereits eine erste Weichenstellung zum dauerhaften Eingriff der „Beschneidung“ an. Denn wesentliches Kriterium ist bei der Rechtsprechung regelmäßig, ob „Körpersubstanz“ verloren geht um dies zu beurteilen (SK-Rudolphi, §223, Rn.6). Beim „Ohr durchstechen“ geht aber gerade keine Körpersubstanz verloren. Auch die Gesinnung des „Täters“ kann des Weiteren eine Rolle spielen, die hier ja gerade nicht darin liegt, unangemessen zu handeln.

Hinweis: Wer damit bereits an dieser Stelle die Körperverletzung scheitern lassen will, muss daran denken, dass auch unfreiwillig gestochene Ohrlöcher damit bei jedem Betroffenen keine Straftat darstellen würden!

Wer das anders sieht, muss erst einmal zur Kenntnis nehmen (was derzeit anhand der Beschneidungs-Debatte Diskussionswürdig erscheint), inwiefern mit der bisherigen Rechtsprechung nur sozial unübliche Behandlungen erfasst sein sollen. Jedenfalls je nach Kulturkreis – und bei uns sicherlich verbreitet – ist das Stechenlassen von Ohrlöchern durchaus als sozialüblich zu bezeichnen, was ebenfalls gegen eine Strafbarkeit spricht. Dieses Argument muss aber derzeit mit Vorsicht gesehen werden.

Weiterhin bestünde die Möglichkeit, eine Einwilligung anzunehmen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Einmal dass das Kind selber einwilligt, ansonsten dass die Eltern einwilligen. Ersteres ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen! Anders als bei einer Beschneidung von mitunter Säuglingen, die schwerlich in etwas einwilligen können, geht es bei Ohrlöchern regelmässig um ältere Kinder. Die Einwilligungfähigkeit ist dabei nicht pauschal an ein bestimmtes Alter oder etwa die Geschäftsfähigkeit gekoppelt! Vielmehr geht es um die jeweils vorhandene „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“, die auch in Relation zum jeweiligen Eingriff gesehen werden muss. Die Einsichtsfähigkeit muss bei einem wenig gravierenden Eingriff wie etwa beim Haare-Schneiden oder auch Ohrloch-stchen noch nicht so ausgereift sein, wie etwa bei Operationen. Ausschlaggebend wird hier das jeweilige Kind sein, wobei ich z.B. keine Probleme hätte, selbst einer durchschnittlichen 6-jährigen eine solche Einwilligungsfähigkeit zuzusprechen. Dass Sie gleichwohl zivilrechtlich keinen Vertrag diesbezüglich begründen könnte und die Eltern alleine deswegen immer noch zustimmen müssten, steht auf einem anderen (nämlich zivilrechtlichen) Blatt!

Bei jüngeren Kindern wäre dagegen grundsätzlich wenn, dann die Einwilligung der Erziehungsberechtigten maßgeblich, die sich aber alleine am Kindeswohl zu orientieren haben. Das kann wenn, dann nur betroffen sein, wenn das Kind zusätzlich selbst Ohrlöcher einfordert. Wenn Eltern die Ohrlöcher alleine aus eigenem Affektionsinteresse stechen lassen wollen („Mein Kind ist erst dann richtig hübsch“), wäre dies nach meiner Auffassung gegen das Kindeswohl.

Im Ergebnis braucht man für eine Einwilligung immer mindestens den klar geäußerten Willen des Kindes. Ein „zu kleines Kind“, das nicht die zu erwartenden Schmerzen abschätzen kann, wird niemals den notwendigen Willen richtig äußern können. Eltern die gegen den tatsächlichen Willen des Kindes handeln, werden regelmässig keine Einwilligung vorweisen können.

Ich präferiere übrigens derzeit diese „Lösung“: Auf der Einwilligungsebene. Eine klare Altersgrenze wird sich dabei niemals ziehen lassen, es kommt immer auf das jeweils vorhandene Kind an. Mit meinen Überlegungen braucht dabei der „Ohrstecher“ immer beide Einwiligungen: Das Kind muss eindeutig seinen Willen bekunden, die Eltern zumindest aus zivilrechtlicher Sicht einwilligen.

2. gesundheitliche Schädigung
Die gesundheitlichr Schädigung verlangt, dass der gesundheitliche Zustand (also nicht mehr nur die körperliche Unversehrtheit, sondern jetzt der Gesundheitszustand!) sich für gewisse Zeit mehr als nur unerheblich verändert hat. Nach meiner Einschätzung wird dies bei „normalen Ohrlöchern“ schwerlich anzunehmen sein. Darüber hinaus wird es am Vorsatz fehlen, da sowohl Eltern als auch „Ohrstecher“ die Gesundheit gerade nicht beeinträchtigen möchten.

Kritisch wird es aber bei nachträglichen Entzündungen, die immer zu erwarten sind – hier können wir über eine fahrlässige Körperverletzung sprechen. Auch die klassische Frage des sorgfältigen Arbeitens wird dann beim „Ohrstecher“ von zunehmender Bedeutung sein, da eine Einwilligung wenn, dann nur in Fachgerechte Arbeit vorliegen wird. All diese Aspekte vertiefe ich hier nicht, da ich nur den Standardfall durchsprechen möchte.

3. Fazit
Strafbarkeit? Es kommt drauf an. Ein plumper Vergleich mit der Beschneidungsdebatte verbietet sich m.E., da die hier vorliegenden Eingriffe doch zu grundverschieden sind. Gerade mit zunehmendem Alter der Kinder entschärft sich die Debatte, da man konkret fragen kann, ob diese nicht ohnehin selber einwilligen konnten. Laien werden dabei immer vor Augen haben müssen, dass Faktoren wie Geschäftsfähigkeit an dieser Stelle vollkommen unbedeutend sind! Derjenige, der Ohrlöcher sticht, wird in jedem Fall gut beraten sein, immer das konkrete Kind als auch die Erziehungsberechtigten einzeln um eine Einwilligung zu bitten. Wenn nur einer Nein sagt, ist von der Maßnahme abzusehen. Eltern dagegen haben immer ihr Kind zu fragen bzw. dessen geäußerten Willen zu betrachten: Ein ernsthaftes „Ja“ führt bei vorhandenem Verständnis vor allem hinsichtlich der Schmerzen m.E. zu keiner Strafbarkeit. Bei Kindern die nicht einwilligen können wird man den Vorgang immer kritisch sehen müssen, womit sicherlich unter 6-Jährige grundsätzlich in der Diskussion stehen werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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