Presserecht: Das Laienprivileg

Das „Laienprivileg“ ist immer wieder mal in aller Munde, aktuell wegen einer (angekündigten) Verfassungsbeschwerde eines „Bloggers“. Dabei gibt es erstaunlich wenig Inhalte zum Thema, Grund genug, in aller Kürze zu beschreiben, was das „Laienprivileg“ eigentlich ist.

Was ist das Laienprivileg im Presserecht

Das so genannte „Laienprivileg“ findet sich nicht im Gesetz. Es handelt sich um eine Schöpfung des BVerfG (1 BvR 1555/88) aus dem Jahr 1991 und besagt als Faustformel, dass sich „Laien“ auf unwidersprochene Presseberichte/Pressemitteilungen erst einmal berufen können. Das BVerfG hat das in seiner Entscheidung sehr verständlich so ausgedrückt:

Der Presse obliegt zwar nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte eine besondere bei der Verbreitung nachteiliger Tatsachen. Vom Einzelnen darf eine vergleichbare Sorgfalt aber nur verlangt werden, soweit er Tatsachenbehauptungen aus seinem eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich aufstellt. Dagegen ist es ihm bei Vorgängen von öffentlichem Interesse, namentlich solchen aus nicht transparenten Politik- und Wirtschaftsbereichen, regelmäßig nicht möglich, Beweise oder auch nur Belegtatsachen aufgrund eigener Nachforschungen beizubringen. Er ist insoweit vielmehr auf die Berichterstattung durch die Medien angewiesen.

Würde man dem Einzelnen gleichwohl auch insoweit nachprüfbare Angaben abverlangen, so hätte das zur Folge, daß er herabsetzende Tatsachen, die er der Presse entnommen hat, überhaupt nicht mehr aufgreifen und zur Stützung seiner Meinung anführen dürfte. Damit träte aber nicht nur eine Lähmung der individuellen ein. Vielmehr würde auch der gesellschaftliche Kommunikationsprozeß verengt, wenn Presseberichte, die ihre meinungsbildende Funktion erfüllen, vom Einzelnen, der sich aufgrund solcher Berichte eine Meinung gebildet hat, nicht mehr verwertet werden dürften, weil er den Beweis für ihre Wahrheit nicht antreten kann. Beides ließe sich mit dem Sinn von Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbaren. Werden die zivilrechtlichen Vorschriften im Lichte dieses Grundrechts ausgelegt, so darf ein Einzelner, der Presseberichte guten Glaubens aufgreift und daraus verallgemeinernde Schlußfolgerungen zieht, erst dann zur Unterlassung oder zum Widerruf verurteilt werden, wenn die Berichterstattung erkennbar überholt oder widerrufen ist. Nichts anderes gilt für die Übernahme von Ausführungen eines Abgeordneten.

Allerdings handelt es sich hier um keinen „Freibrief“. Am Ende sticht sofort ins Auge, dass „erkennbar überholte“ Pressemitteilungen keineswegs mehr weiter helfen können. Insofern gilt der Grundsatz, dass der Laie, der sich auf die Presse beruft, diese auch weiter bzw. insgesamt im Auge haben muss. Keinesfalls gilt die „Rosinen-Theorie“, also das herauspicken gerade passender Informationen in Kombination mit dem geflissentlichen Übersehen anderer verfügbarer Informationen aus gleicher/ähnlicher Quelle.

Doch darüber hinaus muss die Natur des „Laienprivilegs“ richtig verstanden werden. Auch von seiner Art her ist es kein „Freibrief“, sondern eine besondere Art der Handhabung der Darlegungslast in Zivilprozessen. Das BVerfG hat entschieden, dass in einem Zivilprozess ein Laie (was nur eine Privatperson sein kann, heute würde man wohl „Verbraucher“ sagen), der eine aufstellt und diese beweisen muss, sich im Rahmen seiner Darlegungslast auf unwidersprochene Presseberichte beziehen darf. Insgesamt aber sind die Prüfpflichten zwischen Presse und Privatpersonen deutlich zu unterscheiden, wenn Inhalte weitergegeben werden, so das BVerfG (1 BvR 134/03):

Dabei ist die Presse in weiterem Umfang als Private gehalten, Nachrichten und Behauptungen vor ihrer Weitergabe auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen (vgl. BVerfGE 12, 113; 85, 1; BVerfG, Beschluss vom 26. August 2003 – 1 BvR 2243/02NJW 2004, S. 589).

Kritik am Laienprivileg

Die Kritik am Laienprivileg ist mannigfaltig und seit langem zu bemerken. Rehbock etwa schreibt im „Beck'schen Mandatshandbuch Medien- und Presserecht“ (§2, Rn.242-244) fast eine Seite zur Frage, ob dieses Privileg heute überhaupt noch zeitgemäß ist. Er führt dabei letztlich im Kern die Argumente an, die man bei Kritikern immer wieder liest – aktuell etwa bei Ziegelmayer in der LTO – allem voran die Tatsache, dass in der neuen Medienlandschaft dank des Internet auch Privatpersonen eine hohe Reichweite haben können und somit mehr Verantwortung aufgebürdet bekommen müssen. Rehbock verlangt insofern recht überzeugend, dass man deutlicher fragt, wer noch Privatperson und wer schon Medienschaffender ist. Dabei wünscht er sich offensichtlich, wie so viele andere Kritiker, dass alleine auf Grund einer höheren Reichweite des jeweils handelnden diese Unterscheidung vorgenommen werden soll. Sprich: Wer in einem Blog etwas schreibt und auf Grund der theoretisch hohen Verbreitung mehr Schaden anrichten kann, soll auch nicht mehr vom Laienprivileg zehren können.

Diese Sichtweise ist verständlich, stützt sich aber m.E. zu stark auf die Position der Betroffenen und die Verletzung deren Rechte. Das BVerfG hat mehrmals, zu Recht, deutlich gemacht, dass es hier um ein Kernelement der Meinungsäußerungsfreiheit geht: Wer Sorge haben muss, dass er eine Meinung die er auf Presseberichte stützt, äußern darf, der wird sie im Zweifelsfall gar nicht mehr äußern. Wer das Laienprivileg für Blogger ablehnt, weil diese naturgemäß (zumindest theoretisch) mehr Menschen erreichen als das familiäre Kaffeekränzchen, der schraubt unwillkürlich an der Meinungsfreiheit im Bereich des Internets. Dabei verkennt eine unreflektierte Gleichstellung von Blogs mit Zeitungen zudem, dass Leser stark differenzieren: Eine Pressemeldung in einer Zeitung hat immer noch ein ganz anderes Gewicht, als etwa in einem Blog. Wobei naturgemäß auch innerhalb der Systeme gewichtet wird, etwa zwischen BILD und Süddeutscher, oder irgendeinem Blog und Netzpolitik.org.

Die hier noch ein wenig im Schatten geführte Diskussion ist von elementarer Bedeutung – nicht alleine hinsichtlich der Anwendung des Laienprivilegs überhaupt. Wie gezeigt geht es um die Grundsätze der Meinungsäußerungsfreiheit und der Frage, inwieweit individuelle Reichweite ein mehr oder minder blindes Vertrauen in Presseberichte noch zulässt.

Ausgewählte Rechtsprechung zum Laienprivileg

An erster Stelle ist natürlich die aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (15 U 91/11) zu nennen, das sehr verständlich nochmals klar stellte, dass

[…] ein Einzelner, der Presseberichte guten Glaubens aufgreift und daraus verallgemeinernde Schlussfolgerungen zieht, erst dann zur Unterlassung oder zum Widerruf verurteilt werden (darf), wenn die Berichterstattung erkennbar überholt oder widerrufen ist.

Das im Rahmen der Grundrechtsabwägung zu platzierende „Laienprivileg“ definiert somit Sorgfaltspflichten des Äußernden den Wahrheitsgehalt der von ihm verbreiteten meinungsbezogenen Tatsachen bzw. die tatsächlichen Elemente einer Meinungsäußerung betreffend (vgl. BVerfG, NJW-RR 2000, a.a.O.). Das Ergebnis dieser Abwägung hängt danach von der Beachtung dieser Sorgfaltspflichten ab. Sind sie eingehalten, stellt sich aber später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass weder Bestrafung noch Widerruf oder Schadensersatz in Betracht kommen. Dagegen gibt es kein legitimes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten (vgl. BVerfGE 97, 125/149). Besteht die Gefahr, dass die Äußerung dessen ungeachtet aufrechterhalten wird, kann der sich Äußernde folglich zur Unterlassung verurteilt werden (BVerfG, NJW-RR 2000, a.a.O.).

In diesem Fall wurde dem Betroffenen, der sich auf das Laienprivileg berufen wollte, eine zur Verfügung gestellt, der zufolge die Zeitung aus der er zitierte die streitgegenständliche Aussage zu unterlassen hatte. Das reichte, um zu erkennen, dass die Sachlage sich überholt hat.

Das OLG Stuttgart (12 U 236/05) hatte 2006 nochmals deutlich gemacht, dass man genau differenzieren muss: Sobald Tatsachenbehauptungen aus dem eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich aufgestellt werden, kann das Laienprivileg nicht greifen! Man kann also nicht wider besseren Wissens (irgendwelche) Presseartikel heranziehen und sich darauf „ausruhen“.

Das Kammergericht (10 W 73/08) hatte sich übrigens mit einem Blogger zu befassen und erkannte hier, dass das Laienprivileg problemlos auch bei Webseiten Anwendung finden kann. Daneben sollte dieser Satz aus dem Beschluss ins Auge fallen

„Dass dem Antragsgegner die Veröffentlichung einer Gegendarstellung nicht entgangen sein kann, ist eine durch nichts belegte Vermutung des Antragstellers.“

Sprich: Wenn man schon dem Gegner vorhalten möchte, dass ein Bericht erkennbar überholt war, muss man das auch irgendwie substantiieren können. Einfach nur behaupten reicht nicht aus.

Thematisch verwandt hiermit ist auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf (I-15 U 79/10, hier besprochen) zur Frage, wie mit überholten Artikeln umzugehen ist. Also mit dem Fall, dass man auf seiner Webseite etwas wahres berichtet, das aber durch zeitablauf falsch ist oder entstellt dargestellt wird. Hier gilt, dass die entsprechende Gestaltung der Webseite (des Webseiten-Archivs) eine enorme Rolle spielt. Dazu die ausführliche Besprechung beachten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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