Anwaltsgerichtshof NW kritisch zu Masseninkasso durch Rechtsanwälte

Der Anwaltsgerichtshof NRW (2 AGH 48/10) hat sich mit einem Rechtsanwalt beschäftigt, der ein „Masseninkasso“ betreibt. Es liest sich nach einem der typischen Abo-Falle-Sachverhalte, ich finde aber im gerichtlichen Sachverhalt keine Hinweise die auf einen konkreten Betroffenen schliessen lassen. Allerdings sind die Entscheidungsgründe derart allgemein gehalten, dass in der Branche der ein oder andere skeptisch reagieren dürfte.

Kurz zum Hintergrund: Der betroffene Rechtsanwalt erhielt von der Anwaltskammer einen berufsrechtlichen Hinweis wegen Verstosses gegen §43 BRAO („Berufsordnung“). Gegen diesen Hinweis wollte er sich gerichtlich wehren, daher ist der Inkasso-Rechtsanwalt im Folgenden der Kläger, die Kammer die Beklagte.

So ist zum Sachverhalt festzustellen, dass es um eine durchaus „grosse Nummer“ geht, wobei die Differenz zwischen Mahnschreiben und gerichtlichen Verfahren durchaus ins Auge fällt:

Er hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, 900.000 Inkassoverfahren allein im Jahre 2009 abgewickelt zu haben, von denen noch 200.000 Fälle in das gerichtliche Mahnverfahren und davon schließlich 4.000 Fälle gerichtlich geklärt werden mussten.

Für viele Betroffene sicherlich seltsam, aber im Ergebnis richtig, ist die Erkenntnis des Gerichts, dass es jedenfalls berufsrechtlich kein Problem ist, wenn ein Rechtsanwalt nicht bestehende Forderungen durchsetzen will:

Allerdings ist allein der Umstand, dass ein Rechtsanwalt eine nicht bestehende Forderung geltend macht oder eine bestehende Forderung bestreitet, für sich genommen noch nicht berufsrechtswidrig. Selbst wenn der Rechtsanwalt damit rechnet, dass die von ihm geltend gemachte Forderung nicht besteht, dürfte dies letztlich nicht zu beanstanden sein.

Aber im Ergebnis erkennt der AnwGH dennoch einen berufsrechtlichen Verstoss. Dreh- und Angelpunkt ist die Tatsache, dass in diesem Fall nicht nur die anwaltlichen Kosten, sondern zusätzlich noch die Kosten des vorher beauftragten Inkassobüros verlangt wurde. Und das führt dazu, dass – man höre und staune – im handeln des Rechtsanwalts möglicherweise sogar ein wettbewerbsrechtlicher Vertoss zu sehen ist.

Die umfassende Begründung dazu:

Wer als Rechtsanwalt – wie hier der Kläger – in einer Vielzahl von Fällen systematisch mit anwaltlicher Autorität Forderungen beitreibt, bei denen er damit rechnen muss, dass ein Großteil von ihnen nicht berechtigt ist, weil er die nach der herrschenden Meinung und obergerichtlichen Rechtsprechung gebotene Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall nicht vorgenommen und die Erforderlichkeit sowie Zweckmäßigkeit der doppelten Beauftragung von Inkassounternehmen und Rechtsanwalt nicht festgestellt hat, übt seinen Beruf nicht gewissenhaft aus und verstößt gegen § 43 BRAO.

Denn ein solcher Rechtsanwalt verschließt zu Lasten des Vertragspartners seiner Mandantin die Augen davor, dass der Anspruchsgrund bei vielen der beigetriebenen Forderungen nicht gegeben sein dürfte. Denn ein solcher Rechtsanwalt nutzt systematisch die Asymmetrie der Informationen, das regelmäßig bestehende Informationsgefälle zwischen ihm und den angeschriebenen Schuldnern, die Vertragspartner seiner Mandantin und Verbraucher sind, aus.

Er nimmt – auch im Rahmen der bestehenden Vertragsbeziehung – das Vertrauen der angeschriebenen Schuldner in Anspruch, dass die von einem Rechtsanwalt aufgestellten Rechtsbehauptungen richtig sind. Diese entrichten, wie die bekannt gewordenen Zahlen belegen, in den meisten Fällen die angemahnten Beträge, Inkassogebühren und Rechtsanwaltskosten, obwohl sie dies in dem Großteil der Fälle nicht müssten und bei Unterrichtung über die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen auch nicht würden.

Hinweise darauf, dass jedenfalls nach der herrschenden Rechtsmeinung und der obergerichtlichen Rechtsprechung dann, wenn ein Unternehmen mit hinreichender Geschäftserfahrung ein Inkassounternehmen mit der einer Forderung beauftragt, gegen den Schuldner, wenn nachträglich noch ein Rechtsanwalt beauftragt werden muss, im Allgemeinen keinen Anspruch auf Ersatz der Inkassobürokosten besteht, werden in den Mahnschreiben nicht gegeben. Der Rechtsanwalt enthält den Vertragspartnern seiner Mandantin Informationen vor, die für diese als Schuldner und Verbraucher wesentlich sind. Es liegt neben dem Umstand, dass ein solches Verhalten vertragliche Sorgfaltspflichten, die auch gegenüber dem Vertragspartner bestehen dürften, verletzt, eine Irreführung durch Unterlassen vor, die in § 5 a Abs. 2 UWG als unlauter bezeichnet wird.

Interessant ist ein weiterer Punkt: Der Rechtsanwalt versuchte sein Verhalten damit zu rechtfertigen, dass er von seiner Mandantin den ausdrücklichen Auftrag erhalten habe, die Inkassokosten zusätzlich beizutreiben. Wenn man die obigen Gründe liest, kann das schon nicht weiterhelfen, da der AGH ganz klar sagt, dass zumindest ein Hinweis auf die fehlende Erstattungspflicht gegeben werden müsse. Des Weiteren will der AGH normieren:

Der Kläger ist nicht in die Betriebsstruktur seiner jeweiligen Mandanten eingebunden. Er ist kein „Befehlsempfänger“, sondern als Rechtsanwalt freiberuflich tätig. In seiner Klagebegründung erkennt der Kläger zutreffend auch seine Verpflichtung, seinen Mandanten über die tatsächliche Rechtslage aufzuklären. Befolgt der Mandant bzw. die Mandantin trotz eindeutiger Rechtslage den Rat des Anwalts nicht, hat Letzterer die Möglichkeit, das Mandat niederzulegen

Ob das so umfassend wirklich überzeugt und dem Gedanken des Anwalts als Parteivertreter noch gerecht wird, lasse ich dahin stehen. Im Ergebnis soll mit dem AGH NW jedenfalls ein sanktionsfäher Verstoss gegen das Berufsrecht vorliegen, wenn mit „anwaltlicher Autorität“ massenhaft bzw. systematisch Forderungen beigetrieben werden, bei denen der Rechtsanwalt letztlich davon ausgehen muss, dass der Grossteil unberechtigt ist und er im Einzelfall nicht die erforderliche Prüfung vorgenommen hat.

Im Ergebnis ändert das erst einmal wenig für konkret Betroffene. Spannend wird es sein, ob Wettbewerbszentralen bzw. Verbraucherzentralen demnächst entsprechende Rechtsanwälte wegen eines wettbewerbsrechtlichen Verstosses abmahnen, immerhin haben besteht mit dieser Entscheidung ein Fingerzeig, wie Schutzverbände Maßnahmen ergreifen können. Zugleich gibt es schon erste Widerstände, etwa in der aktuellen NJW (31/2011, S.2251ff.) von RA Kleine-Cosack, der sehr harsche Worte findet und die Entscheidung im Kern ablehnt.

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Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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