Volkszählung 2011 – Was meinen Sie?

Fr. Irion meint in der BZ-Online:

Aber so kommt es wohl, wenn man seine Daten an jeder Ecke preisgibt: Bei der Beantragung von Kundenkarten, bei Online-Buchungen. Bei der Anmeldung zum Fitnessstudio, wo mitunter sogar der BMI (selten wohlwollend) vermerkt wird. Umso erstaunlicher, dass sich trotz der allgemeinen Freigebigkeit nun wieder Menschen gefunden haben, die gegen die neue Volksbefragung vor Gericht ziehen. […] .Ich finde, das sollte den Staat sehr wohl interessieren.

Damit liegt die Autorin richtig, bietet aber keine Argumente für oder gegen die aktuelle Volkszählung 2011. Dazu hier in Kürze einige Punkte:

  1. Es ist richtig, dass viele Menschen sehr freimütig mit ihren Daten umgehen. Sei es Offline bei Gewinnspielen, Vertragsabschlüssen oder der allseits beliebten Payback-Karte. Oder sei es Online, bei „sozialen Netzwerken“. Doch der Vergleich mit der Volkszählung (dem Zensus) 2011 verbietet sich, denn bei all diesen Beispielen hat der Betroffene die Wahl, ob er Daten offenbahrt oder nicht. Man mag vieles davon kritisch sehen, aber es ist die freie Entscheidung des jeweils Betroffenen. Anders bei der Volkszählung, wo unsere Daten aus Registern ohne Einfluss unsererseits erhoben und zentral in einer Datenbank zusammengeführt werden. Payback-Karte nutzen und sich gegen die Volkszählung wehren? Es mag komisch klingen, aber ein innerer Widerspruch liegt da nicht, sofern man auf die Freiwilligkeit achtet.
  2. Die Erhebung statistischer Daten hat erhebliche Bedeutung für eine staatliche Politik. Auch da hat Fr. Irion recht und findet Unterstützung beim , das diese Aussage selbst getroffen hat (BVerfGE 65, 1, 47). DOch das BVerfG sagt zugleich, dass es viele Grenzen gibt, eine davon ist die Gefahr der „Katalogisierung“, des Verkommens zum „Informationsobjekt“ (BVerfGE 65, 1, 48). Um die Frage, ob dies vorliegend der Fall ist, für sich beantworten zu können, wird man nicht umhin kommen, das Zensusgesetz 2011 umfänglich zu lesen und zu verstehen. Fakt ist: Das BVerfG fordert in langer Rechtsprechungstradition eine weitgehende Anonymisierung der erhobenen Daten, bei einem ausdrücklichen Verbot von Ordnungsmerkmalen. Das vorliegende Zensusgesetz scheint aber eher möglichst viele Daten bei Verwendung von Ordnungsnummern zu erheben. Die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen werden insofern zumindest angekratzt – und ohne diese Grenzen auf die Frage „Die Erhebung ist doch wichtig“ zu blicken, ist ein schlichter Fehler.
  3. Zu Guter Letzt ist ein gedanklicher Fehler zu monieren: Der Staat ist nicht die private Wirtschaft. Wir brauchen den Staat oft als Behörde, wir müssen Anträge stellen, Steuern zahlen – finden uns im Ergebnis sehr oft nicht „auf Augenhöhe“ mit dem Staat, leben aber in gewisser Abhängigkeit von ihm. Manche mehr, manche etwas weniger. Eine umfassende (verdachtslose) Erhebung von Daten schafft aber einen „Einschüchterungseffekt (BVerfGE 103, 21, 33). Selbst bei Lektüre des Zensusgesetzes 2011 werden Bürger letztlich Sorge haben, was der Staat alles weiß und nicht mehr unbefangen und Selbstbewusst dem Staat gegenüber auftreten. Das Bundesverfassungsgericht drückt es so aus: Die Selbstbestimmung ist elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Grundwesens (BVerfGE 113, 29, 46; 65, 1, 43).

Im Fazit ist meine Antwort: Jeder hat das Recht, mit dieser Volkszählung kein Problem zu haben. Auch das ist Inhalt des verbürgten Grundrechts. Alleine die Notwendigkeit statistischer Datenerhebung sagt aber nichts über deren Grenzen aus. Insbesondere über die Frage, ob man den aktuellen Fragenkatalog – der weit über die Vorgaben aus Brüssel hinausgeht – als notwendig erachtet.  Der Vergleich zwischen Staat und Wirtschaft verbietet sich, auch der Vergleich des Verhaltens des Betroffenen, der mal als Kunde, mal als Bürger/Einwohner agiert.

Diejenigen, die jetzt eine Prüfung durch das BVerfG wünschen, müssen sich nicht rechtfertigen, auch nicht, wenn Sie Kunde eines Fitnessstudios sind. Wer mit der Erhebung kein Problem hat, muss sich aber auch nicht rechtfertigen – sofern er sich, entsprechend seinem Grundrecht, auch informiert hat, worum es hier eigentlich geht. Denn mit der Informiertheit, mit dem Wissen was geschieht, steht und fällt die Freiwilligkeit, die das ausmacht, um was es hier geht: Selbstbestimmung.

Update: Inzwischen wurde unsererseits Verfassungsbeschwerde eingereicht, dazu hier weitere Informationen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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